Fluchen mit Gottes Hilfe?

Die ‚Hauptperson‘ meines heutigen Beitrags ist ein kleines aber kraftvolles Wort aus der dänischen Alltagssprache. Es lautet schlicht und einfach: sgu

Da unbegreiflicherweise eine satte Mehrheit der Weltbevölkerung nicht dänisch spricht, werden sich einige fragen: Was soll ich mit diesem Wort anfangen? Aber zum einen ist es doch immer wieder lohnenswert, einen Blick hinter den Horizont des (zumindest vordergründig) Bekannten und Gewohnten zu werfen. Und außerdem ist ’sgu‘ ein Musterbeispiel für das, was in der Sprache immer wieder geschieht. Grund genug, dieses Bilderbuchwort aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten.

Angefangen hat es mit der Wendung ’så gud hjælpe mig‘ – So (wahr) mir Gott helfe. Man könnte dies als Eidesformel für den Hausgebrauch bezeichnen. Die Richtigkeit einer Aussage sollte nachdrücklich betont werden, indem man Gott als Zeugen anrief. Über den tatsächlichen Wahrheitsgehalt der auf diese Weise unterstrichenen Behauptungen ist damit freilich wenig gesagt.

Betrachten wir zunächst die sprachlich interessante Verkürzung von ’så gud hjælpe mig‘ zu ’sgu‘ – denn die ist wirklich etwas für das Lehrbuch der Sprachentwicklung. Es zeigt sich sehr schön, wie ein Ausdruck mundgerecht für die Alltagssprache zurecht geschliffen wird. Man erkennt eine typische Dynamik. Wird ein Ausdruck oft genug verwendet, besteht die Neigung, ihn zu vereinfachen. Und hat man ihn erst einmal vereinfacht, begünstigt dies eine häufigere Verwendung. Und das Spiel geht in eine neue Runde.
Zunächst der Werdegang im Zeitraffer:

så gud hjælpe mig
så gud
sågu

sgu

Die erste Verkürzung sieht zwar dramatisch aus, hat aber am Verständnis des Inhalts wahrscheinlich nichts geändert. Man kannte die Fortsetzung, und es bestand schlicht keine Notwendigkeit, jedes Mal die ganze Phrase zu wiederholen. Dies ist vergleichbar mit der (im Deutschen) längst zum Standard gewordenen Bezeichnung ‚Auto‘ für ‚Automobil‘. Man sagt zwar nur ‚Auto‘, meint das ‚mobil‘ aber gleich mit (anders wär’s ja auch blöd – wer will schon ein Auto das nicht mobil ist?).

Bei der zweiten Verkürzung sieht die Sache genau umgekehrt aus. Es ist eine scheinbar geringfügige Veränderung mit großer Wirkung. Da der Ausdruck immer innerhalb eines Satzes verwendet wurde (und wird), war zwischen ’så gud‘ und ’sågu‘ kaum ein Unterschied hörbar. Aber aus zwei Wörtern wurde eins. Und vor allem: Der ‚gud‘ hat einen Buchstaben verloren. Gott war also (obwohl noch zu zwei Dritteln vorhanden) nicht mehr direkt erkennbar. Und damit war die Voraussetzung gegeben, dass die ursprüngliche Bedeutung weitgehend in Vergessenheit geraten konnte.

Die letzte Verkürzung wiederum war weniger dramatisch – das Wort wurde ‚mundlicher‘ (handlicher passt ja schlecht) gemacht. Das heißt, es wurde zum einsilbigen Ausdruck verkürzt. Damit war der Weg für eine vielseitige und häufige Verwendung geebnet. Denn das Wort gilt ja lediglich als Verstärker der im Satz gemachten Aussagen und soll den Redefluss möglichst nicht hemmen.

Ein interessantes Detail ist, dass ’sgu‘ als Fluchwort kategorisiert wird. Das ist insofern nicht abwegig, weil das Wort oft und gerne in etwas rauerem Sprachgebrauch verwendet wird. Wenn jemand etwas ’sgu ikke lide‘ kann, würde man dies im Deutschen adäquat als ‚verdammt nochmal nicht ausstehen‘ wiedergeben. Allerdings ist ’sgu‘ ein sehr vielseitig angewendeter verstärkender Ausdruck der in vielen Fällen – abhängig vom Kontext und Tonfall – sehr harmlos ist.

Dennoch stellt sich hier eine grundsätzliche Frage: Wie kommt es dazu, dass ein ursprünglich auf ‚Gottes Hilfe‘ basierender Ausdruck zum Fluchwort mutiert? Hat es mit einer gottlos gewordenen Gesellschaft zu tun? Oder hat es damit zu tun, dass im verkürzten Ausdruck die ursprüngliche Bedeutung nicht mehr erkennbar ist? Es trifft zwar zu, dass viele Menschen den Ausdruck ’sgu‘ verwenden ohne sich über dessen Herkunft und ursprüngliche Bedeutung im Klaren zu sein. Auf der anderen Seite ändert das Wissen um die Herkunft des Wortes meist nichts an dessen Gebrauch. Und das erscheint mir nicht verwunderlich.

Denn meine Beobachtung ist die, dass viele Ausdrücke aus dem religiösen Wortschatz in der Alltagssprache meist nicht religiös gemeint sind. In aller Regel werden sie nur von betont religiösen Menschen in ihrer ursprünglichen Bedeutung aufgefasst – und in der Konsequenz häufig vermieden. Alle anderen verwenden sie schlicht und einfach in der Bedeutung, die sie in ihrem Umfeld üblicherweise hat. ‚Jessas!‘ (manchmal in Begleitung von Maria und Josef) ist dann ganz einfach ein Ausdruck des erschrockenen Erstaunens. Und ‚Gott sei Dank‘ ist ein Ausdruck der Erleichterung, den auch diejenigen verwenden, die nie im Leben auf die Idee kämen, Gott für etwas zu danken.

Im Englischen hört man oft den Ausdruck ‚oh my God!‘ – und manchmal, besonders in den USA, sogar verstärkend ‚oh my fucking God!‘ Mir ist allerdings noch niemand begegnet, der letztgenannte Aussage wirklich wörtlich gemeint hätte. 😉 Und dass die Wendung in modernen Kommunikationsmedien gern als OMG abgekürzt wird (wodurch die ursprüngliche Bedeutung nicht mehr auf den ersten Blick erkennbar ist), ändert an deren Verwendung wahrscheinlich kaum etwas.

In diesem Sinne ist ’sgu‘ ein ganz und gar typisches Beispiel dafür, wie Sprache im Alltag angewendet wird. Entscheidend ist nicht, woher ein Ausdruck stammt und was er ursprünglich bedeutet hat. Die wichtigste (oft sogar einzige) Frage ist: Auf welche Weise wird der Ausdruck in meinem Umfeld aufgefasst? Selbst linguistisch absurde Ausdrücke werden bedenkenlos verwendet, wenn sie von den Sprechern als ’normal‘ empfunden werden. Von solchen Fällen wird hier bestimmt noch öfters die Rede sein.

8 Gedanken zu “Fluchen mit Gottes Hilfe?

  1. Mein Name sei MAMA sagt:

    Bevor ich Kinder hatte, war mein Ausruf des Ärgers ein hier nicht näher zu bennendes Wort, das mit Sch wie Schule begann und mit Eis oder Ähnlichem endete. Seit ich Kinder habe hört man mich gelegentlich „Himmel!“ ausrufen und meine Tochter fragte schon wiederholt, was das bedeuten soll. Das ist dann gar nicht so einfach zu erklären. Vielleicht sollte ich mir „sgu“ angewöhnen. Da kann ich dann auf Nachfrage einfach antworten, das sei dänisch und schon wird das Thema auf fremde Länder und Sprachen gelenkt 😉 [Und Kind vergißt, dass Mama flucht]

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    1. Random Randomsen sagt:

      Rein sprachlich gesehen finde ich diese Idee geradezu berauschend. Nachdem der Ausdruck über lange Zeit immer weiter abgeschliffen wurde, wäre es tatsächlich eine Krönung, wenn er sozusagen als eine Art Solitär in einem anderen Sprachraum eingesetzt würde.
      Als Ablenkungsmanöver könnte ‚sgu’ sicher einige Male funktionieren. Aber Kraftausdrücke werden meist sehr bald als solche erkannt. C’est le ton qui fait la musique. 🙂

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