Wendungen wagen

Bild Nr. 4 aus Myriades aktueller Impulswerkstatt

© Myriade

…nehme ich als Ausgangspunkt für eine kleine Rundreise durch einige sprachliche Wendungen. Man kann sich das so vorstellen, als würde man bei einer Fahrt mit dem abgebildeten Wagen verschiedene Situationen beobachten, die durch sprachliche Wendungen ausgedrückt werden.

Nicht jeder kann mit Pferd und Wagen reisen, sondern muss unter Umständen mit Schusters Rappen vorlieb nehmen. Die Wendung ist leicht verständlich. Wobei selbst hier noch ein Hauch von Luxus mitschwingt – denn längst nicht allen war/ist es vergönnt, beschuht unterwegs zu sein. Bruke apostlenes hester (die Pferde der Apostel benutzen) lautet das norwegische Pendant. Wer aber tatsächlich zu Pferd unterwegs sein kann, möge die dänische Wendung man rider som man sadler (man reitet, wie man sattelt) beherzigen. Wie man sich bettet, so liegt man, pflegt man im Deutschen zu sagen. Und beide Sprachbilder sind leicht verständlich. Wobei bei man das Zweite durchaus auch in den nordischen Ländern kennt: som man reder, så ligger man (NO) – som man bäddar får man ligga (SE). Auch sollten berittene Reisende sich hüten, die Fußgänger von oben herab zu behandeln. Denn wer auf dem hohen Roß (på høye hesten) sitzt, kann, ehe er sichs versieht, einen Abstieg erfahren. Dazu gibt es eine sehr anschauliche deutschsprachige Wendung, von der allerdings heute fast nur noch der letzte Teil in Gebrauch ist: vom Pferd auf den Esel und vom Esel auf den Hund kommen. Das illustriert sehr deutlich einen wirtschaftlichen und sozialen Abstieg. Wer aber in der komfortablen Lage ist, über Roß und Wagen zu verfügen, sollte darauf achten, nicht den Wagen vors Pferd zu spannen (als spenne vognen foran hesten auch im Norwegischen geläufig). Die Wendung gibt es in verschiedenen Varianten. Auch das Pferd hinter den Wagen spannen oder den Pflug vor den Ochsen spannen. Und auch das Pferd beim Schwanz aufzäumen hat die gleiche Bedeutung. Immer geht es darum, dass jemand etwas grundverkehrt angeht. Im Norwegischen kennt man auch die Variante spenne kjerra for merra (die Karre vor die Mähre spannen). Der Reiz dieser Form liegt natürlich im Reim, der in Übersetzungen verloren geht. Zum Abrunden möchte ich noch eine Wendung aus dem Norwegischen vorstellen, deren Bedeutung sich nicht auf den ersten Blick erschließt: han/hun er ikke tapt bak en vogn. Wörtlich heißt das: er/sie ist nicht hinter einem Wagen verloren. Das klingt rätselhaft. Im Deutschen würde man hier am ehesten die Wendung er/sie ist nicht auf den Kopf gefallen verwenden. Die norwegische Wendung zielt darauf ab, dass jemand, der auf einem beladenen Fuhrwerk mitfährt, aufpassen muss, dass er bei allem Holpern und Schaukeln nicht runterfällt und dann eben hinter dem Wagen auf der Strecke bleibt. Wer diese Herausforderung meistert, zeigt damit, dass er sich zu helfen weiß. Eigentlich ist es erstaunlich, dass eine Wendung die auf einem nicht mehr zeitgemäßen und eher umständlichen Bild beruht, heute noch gebräuchlich ist.


Ungarische Melodie in h-moll, D 817
Franz Schubert

Dora Deliyska • Klavier

Titelbild © Random Randomsen

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27 Gedanken zu “Wendungen wagen

  1. gkazakou sagt:

    Ist schon toll, wieviele Pferdewendungen auf uns gekommen sind. Was wissen wir schon noch vom Reisen mit Pferden? Und doch rechnen wir immer noch mit Pferdestärken, fallen jemandem in die Zügel, spornen jemanden an, reiten ein Thema zu Tode, vergaloppieren uns, deichseln eine schwierige Angelegenheit ….

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    1. Olpo Olponator sagt:

      In Pferdestärken ‚rechnen‘ bloß noch die Ewiggestrigen sowie all jene, die noch immer nicht mitbekamen, daß solitäre Leistungsbemessungen bei Motoren in PS zB bei Fahrzeugwerbungen bereits vor einer erklecklich langen Weile per Gesetz verboten wurden.

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      1. gkazakou sagt:

        Wenn du es sagst, wird es wohl auch so sein, lieber Olpo, jedenfalls für den deutschen Gesetzgeber und für den von dir benannten Anwendungsfall. Den größten Teil der Menschheit interessiert das nicht, und so rechnet er weiter mit Pferdestärken, zumal der Begriff viel gedankenanregender ist als „Watt“ oder ähnliche Ersatzbegriffe.

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        1. Olpo Olponator sagt:

          Reden werden wir auch noch in 100 Jahren über Galeeren und alte Fregatten, auch wenn dann der Dudengl das Wort ‚horsepower‘ längst für veraltet erklärt haben wird. Rechnen tut die Welt bereits heute nur mehr in Stromkrafteinheiten. Das werden auch Menschen, welche sich selbst am Liebsten reden hören, nicht mehr durch Starrköpfigkeit verändern können.

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          1. gkazakou sagt:

            Da fällt mir noch eine Pferde-Wendung ein: auf etwas rumreiten. Das kommt vom Steckenpferd. Ließ ich mich belehren. Wer wie ein Kind ständig mit dem Steckenpferd rumreitet, verhält sich ein bisschen kindisch.

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        2. Olpo Olponator sagt:

          Mich animiert das ziellose Gehüpfe des ähnlich eines um die Ecke springenden Schachpferdes nun daran zu glauben, daß meine These des SichSelbstAmLiebstenRedenHören nicht gerade falsch ist, wie eben auch zu der Wendung „sich (übereifrig) selbst zu überschlagen wie ein ältlicher, strauchelnder Haflinger“ … 😉

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      2. Random Randomsen sagt:

        Aus meiner eigenen Erfahrung erlebe ich es allerdings tatsächlich so, dass der Volksmund den Pferden die Treue hält. Auch die Fahrzeughändler geben zwar brav die kW an – aber eigentlich ausnahmslos mit zusätzlicher PS-Angabe. [Auch im Norwegischen ist die „hestekraft“ noch immer gebräuchlich.] Ich erlebe das ähnlich wie beim Nährwert, wo zwar im Handel die Kilojoule angegeben werden, aber das gemeine Volk noch immer von Kalorien redet (und dabei sogar das „Kilo“ unterschlägt).

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        1. Olpo Olponator sagt:

          Natürlich, das Umfeld macht den Umgang mit diversen Maßeinheiten aus – ich gebe zB liebend gern Gewichtsangaben beim Kochen in dkg an – denn so stehen sie in sämtlichen meiner -handgeschriebenen, österreichischen- Kochbücher aus dem Familienkreis, deren Autorinnen längst keine zehn Pferde mehr aus dem Grab bringen würden.
          Jedoch empfinde ich es als bereits beinahe anachronistisch, wenn bei einem E-Roller, für den ich mich kürzlich interessierte, als Leistungsangabe tatsächlich 7 PS steht und ich die jeweils 2500 Watt der beiden Motoren in 5 KW -aus dem Stegreif geschätzt- umrechne … was andererseits nötig ist, will man die zu erzielende Reichweite des Vehikels unter Zuhilfenahme der zumeist ebenfalls angegebenen Größe der enthaltenen Wattstunden des Stromspeichers abschätzen, bzw mit der stets in Amperestunden angegebenen Speicherkapazität der Batterie in etwa gegenrechnen.
          Und ich käme gar nicht auf den Gedanken, die Leistung jenes E-Rollers, den ich aktuell zum Kauf anbiete, mit 0,675 PS anzugeben, weil sowieso jedermann fragen würde, „wieviel Watt der Motor hat“ … um beim eigenen Umfeld zu bleiben, das sich von anderen, veraltenden, grundlegend unterscheiden kann … 😉

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          1. Random Randomsen sagt:

            Für sinnvolle Berechnungen sind die Angaben in kW sicher erste Wahl. Wobei meine Vermutung die ist, dass die „PS“ für viele eben eine etablierte Prestigegröße darstellen, die man, auch mit E-Mobilität, nicht so leicht los wird.
            Ich habe neugierdehalber einen Blick in die Werbezeitung geworfen, die ich heute in meinem Postkasten vorfand. Die gewerblichen Anbieter geben konsequent kW (PS) an. Bei den privaten Anbietern ist die Reihenfolge umgekehrt, bzw. einige geben nur die PS an. Nur bei einem Angebot gibt es lediglich die Angabe in kW – witzigerweise ein Fahrzeug mit Erstzulassung im Jahr 1976. 😀

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            1. Olpo Olponator sagt:

              😉 … Schmunzelnd zur Kenntnis genommen … nicht jeder Oldtimerliebhaber ist ein verzopfter Saurier 😉 … und auch ich liebe Traditionen, besonders musikalische, obwohl wir doch weit modernere Musik ‚können‘ als Orgel oder Viola da Gamba… und wie Sie sehen, wage ich mich recht häufig in die mittelbare Nähe meines Angstgegners – dem Klavier 😉 …

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            2. Random Randomsen sagt:

              Vielleicht ist der Oldtimerliebhaber auch überdurchschnittlich an Technischem interessiert und deshalb auf dem neuesten Stand.
              In der Sprachpraxis gibt es auch immer wieder Tendenzen zu anachronistischen oder auch absurden Kreationen. Beispielsweise gab es bei E-Mails die Kürzel CC (was ursprünglich für die damals schon obsolete Carbon Copy stand) und die eigentlich unmögliche Neuschöpfung BCC (Blind Carbon Copy).
              Das Klavier ist nicht nur ein sehr vielsaitiges Instrument, sondern es gibt da auch eine sehr vielseitige Spielkultur, bei der man immer auf positive Überraschungen gefasst sein darf. 😀

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            3. Olpo Olponator sagt:

              Bei den Stichworten ‚Klavier‘ und ‚Spielkultur‘ kann ich natürlich nicht umhin, meine wehbeleidigte Verletzbarkeit ins Feld zu führen – was stets absehbar ist.
              Nichtsdestotrotz heben die Pferdchen ihre Hufe sehr leichtfüßig in dieser Interpretation Schuberts durch die derzeit in Wien lebende Pianistin Dora Deliyska, um nicht zu sagen, ei gar pferdeleichtfüßig – was wiederum zu verständlichen Mißinterpretationen Dritter oder gar bald zu Raimund oder Nestroy führen könnte – welche (mir) bei beelzebübischen Anspielungen nie sehr weit weg sein dürften … 😉

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    2. Random Randomsen sagt:

      Lieben Dank für deine harmonisch mittrabende Resonanz. 🙂
      Ja, sehr vieles ist in den Redewendungen erhalten geblieben. Das hängt wohl auch damit zusammen, dass Pferde jahrhundertelang von immenser Bedeutung waren, ob es nun um das Reisen oder den Transport von Waren ging. Erschwerend kam ja noch hinzu, dass die Verkehrswege auch häufig ihre Tücken hatten – es kam wohl nicht selten vor, dass jemand den Karren aus dem Dreck ziehen musste.
      Mit einem herzlichen Sonntagsgruß 🐻

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  2. Olpo Olponator sagt:

    Assoziiere ich richtig, wenn ich davon ausgehe, daß Sie uns zu akrobatischen Wortsprungleistungen animieren möchten und Schubert uns hier vielleicht auf eine frühjährlich beblumte Weide führt oder uns leicht übermütige Pferdchen zeigt, die sich über die wärmende Sonne freuen und -zum kalendarischen Frühjahrsbeginn aufgeputzt- springlebendig am Liebsten vor den Einspännern die Promenade entlanghüpfen würden, vor welche sie gespannt wurden ? Eine Quelle hüpft musikalisch doch anders, dünkt mir … 😉
    Übrigens: der Anschlag der Dame tut nicht weh in den Ohren oder im Gemüt … 😉

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    1. Random Randomsen sagt:

      Lieben Dank für diese wortspielfreudige Resonanz. 🙂
      Es würde mich schon freuen, wenn dieser Beitrag animierende Wirkung zeigte. Denn ich finde durchaus, dass zur gelungenen Rede auch die gekonnte Wendung gehört.
      Ja, die Schubert-Musik würde sehr dazu passen, dass die Pferde zwar brav den Wagen ziehen, aber zwischendurch auch den einen oder anderen übermütigen Schritt wagen. 😀
      Die Dame spielt durchaus sehr fingerspitzengefühlig – und der Bösendorfer kommt ihr da, wie mir deucht, auch sehr gelegen.
      Mit einem herzlichen Sonntagsgruß 🐻

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  3. Stefan Kraus sagt:

    „Auf den Hund gekommen“ als sozialer und wirtschaftlicher Abstieg – das sieht Haily aber ganz anders.
    Ein spannend zu lesender und sehr informativer Beitrag. Am Ende des Textes gab es für mich eine ganz unerwartete Wendung, hatte ich doch mit einer skandinavischen Musik zum Beitrag gerechnet. Doch die Klänge schließen den Kreis, führen mich zurück zum Titelbild, und ich höre die Schritte der Kutschpferde…
    Dir einen schönen Sonntag, und liebe Grüße an dich. 🙂

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    1. Random Randomsen sagt:

      Lieben Dank für deine fellnasenfreundliche und interessierte Resonanz. 🙂
      „Auf den Hund kommen“ ist letztlich nur vor dem ursprünglichen Hintergrund ein verständliches Sprachbild. Denn in früheren Zeiten wurden ja auch Hunde als Zugtiere eingesetzt. Allerdings halt nur mit einem recht kleinen Wägelchen. Und da wird das Gefälle schon deutlich vom Fuhrwerk über den Karren zum Wägelchen.
      Tatsächlich hatte ich zunächst eine nordische Musik im Sinn. Letztlich machte aber die Schubert-Melodie das Rennen, und zwar genau weil sie eben den Kreis schließt und zum Bild zurückführt.
      Mit einem herzlichen Sonntagsgruß 🐻

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  4. Myriade sagt:

    Mir kommt vor, ich bin aber nicht sicher, dass „auf den Hund kommen“ daher kommt, dass in mittelalterlichen Zeiten in Geldkassetten auf dem Boden ein Hund abgebildet war und wenn man auf den Hund gekommen war, war das Geld ausgegangen. Die Variante mit dem Hund als alternativem Zieher von Wagen gefällt mir aber auch sehr.
    Wirklich interessant, dass es noch so viele aktiv verwendete Pferde-Wendungen in verschiedenen Sprachen gibt. Im städtischen Leben sind Pferde heutzutage bedeutungslos, wie das in ländlichen Gebieten ist, kann ich nicht beurteilen. Ich erinnere mich aber, dass vor etwa zehn Jahren in Rumänien durchaus noch Pferdefuhrwerke unterwegs waren zB auf der einzigen größeren, aber einspurigen Verbindungsstraße zwischen Ost und West. Ich war bei 40 Grad in einem Bus mit kaputter Klimaanlage und nicht zu öffnenden Fenstern unterwegs, der gefühlt stundenlang hinter einem nicht überholbaren Pferdefuhrwerk nachschlich. Das blieb mir lange in Erinnerung 😉 Das Fuhrwerk auf dem Foto fährt übrigens durch einen Nationalpark.
    Vielen Dank für einen weiteren deiner großartigen Sprachbeiträge !
    PS: wie ist das eigentlich mit den „Fellnasen“, passt der Begriff für alle Tiere? Also, natürlich nur solche mit Fell 😉

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    1. Random Randomsen sagt:

      Lieben Dank für diese ergänzend einstimmende Resonanz. 🙂
      Die Geschichte mit den Geldkassetten erscheint mir als plausible Erklärung, warum „auf den Hund kommen“ als eigenständige Wendung vorkommt. Der Hund als Zugtier scheint noch ein gutes Stück ins 20. Jahrhundert hinein in ländlichen Gegenden durchaus gebräuchlich gewesen zu sein.
      Wahrscheinlich würde man aus unserer „durchmotorisierten“ Perspektive erstaunt sein, in wie vielen Ecken noch mit Pferdekräften transportiert oder auch mit Ochse oder Büffel vor dem Pflug gearbeitet wird.
      Das Pferd ist in sprachlichen Wendungen tatsächlich noch weit verbreitet. Ich habe ja hier nur ein wenig an der Oberfläche gekratzt und auch nur zwei Sprachregionen berücksichtigt.
      „Fellnasen“ benutze ich selber nur für Hunde. Es ist mir aber auch schon als Katzen-Wort begegnet.
      Mit einem herzlichen Sonntagsgruß 🐻

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      1. Myriade sagt:

        Aha, ich kenne die Fellnasen nur aus den Blogs und da wird der Begriff ziemlich gleich oft für Hunde und Katzen verwendet.
        Sprache ist doch ein unerschöpfliches Thema, das sich durch alle Bereiche des Lebens zieht …

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