Bei Bild Nr. 2 aus Myriades aktueller Impulswerkstatt…
…denke ich an Lebewesen, die dem unbehilfsmittelten Auge verborgen bleiben, die aber beim Blick durch ein Mikroskop sichtbar werden. Und da bei den Bildern der Impulswerkstatt meine Gedanken automatisch in musikalische Richtungen streben, frage ich mich, wie es wohl klingen möchte, wenn man die Schwingungen von Kleinstlebewesen, Zellen, Atomen oder gar Photonen hörbar machen könnte.
Vor diesem Hintergrund habe ich eine Musik ausgewählt, bei deren Klängen ich mir durchaus vorstellen könnte, dass sie hörbar machen, wie Körperzellen miteinander interagieren und in Resonanz gehen. [Dies ist aber wohlgemerkt nur eine „random“ Assoziation und hat nichts mit den Intentionen der Komponistin zu tun.]
Echoes & Shadows
Kristin Bolstad
Tomba Emmanuelle • Nachhall
Unabhängig davon, welche Assoziationen man damit verbinden mag, weist diese Musik ihre ganz besonderen Eigenheiten auf. Meist ist eine musikalische Komposition ja nicht ortsgebunden. D.h. man kann sie an sehr vielen sehr unterschiedlichen Orten aufführen, die aus unterschiedlichen Gründen mehr oder weniger gut dafür geeignet sind. Das Stück Echoes & Shadows hingegen ist für genau jenen Ort gedacht, an dem diese Aufnahme entstanden ist. Die Mitwirkung des Ortes ist so essentiell, dass ich ihn sogar explizit unter den Mitwirkenden aufgeführt habe.
Warum aber spielt dieser Raum eine so besondere Rolle? Die „Tomba Emmanuelle“ ist Emanuel Vigelands Mausoleum in Oslo. Dieser Raum wurde nicht als Konzertsaal konzipiert und ist für herkömmliche Musikdarbietungen auch nicht geeignet. Die Dimensionen des Raumes und seine Oberflächenbeschaffenheit (geringer Absorptionsgrad) führen zu einer außergewöhnlich langen Nachhallzeit. Bei vielen Konzertsälen und Opernhäusern liegt die Nachhallzeit bei etwa zwei Sekunden, tendenziell eher knapp darunter. In der „Tomba Emmanuelle“ beträgt die durchschnittliche Nachhallzeit über 15 Sekunden. Die tiefsten Frequenzen hallen sogar über 20 Sekunden lang nach. Mit zunehmender Tonhöhe verkürzt sich die Zeit. Das kann sehr reizvoll sein für Solisten, die improvisatorisch mit diesem Nachhall spielen. Es liegt auf der Hand, dass Musik für mehrere Ausführende in einer solchen Umgebung einer ordnenden Struktur bedarf. Und gewiss ist es eine besondere Herausforderung, eine Struktur zu gestalten, die ganz gezielt des Raumes Mitwirkung einbezieht. An der ersten Aufnahme waren nur zwei Sängerinnen beteiligt. Man kann sich also leicht vorstellen, wie sehr die besondere Raumakustik hier ins Gewicht fällt. An der folgenden Aufnahme waren fünf Sängerinnen beteiligt.
Tomba Emmanuelle • Nachhall
Wer mehr über die Tomba Emmanuelle erfahren möchte, kann hier fündig werden:
http://www.emanuelvigeland.museum.no/mausoleum.htm
Titelbild © Random Randomsen
Irgendwie kann ich deine Assoziation zu den Körperzellen gut verstehen. Diese Musik ist unglaublich faszinierend und von tiefer, ganz eigener Schönheit, für mich vor allem die erste. Hier ist nicht nur das „Alles ist mit allem verbunden“, sondern auch das „Alles klingt in allem nach“ erlebbar.
Aber auch die (relative) Nicht-Reproduzierbarkeit durch die Ortsgebundenheit hat etwas fesselndes (denke da auch an John Cage). Deine Überschrift erhält damit eine zusätzliche Bedeutung. Der Bezug zu Mozart, also die tradierte (reproduzierbare) Musik, erinnert an die Weitung des „Raums des Legitimen“ in den Künsten (die ideologisch manchmal noch immer Ablehnung findet und praktisch ein Randdasein fristet).
Übrigens habe ich etwas wie den Anfang des ersten Stückes höchst ähnlich schon mal gehört. Hubert von Goisern hat das in einer Eishöhle gemacht.
Dir einen schönen Sonntag und liebe Grüße an dich 🙂
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Herzlichen Dank für deine harmonisch einstimmende und weiterführend-abrundende Resonanz. 🙂
Besonders dieses „alles klingt in allem nach“ scheint mir in Bezug (auch) auf die Körperzellen bedeutsam, da man dies ja auch als Einladung auffassen kann, der Nach-Wirkung akustischer Erlebnisse bewusst nachzuspüren.
Die Überschrift hatte ich noch nicht einmal so weit gedacht, wie du es hier ausführst – aber deine Gedankengänge erscheinen mir hier sehr passend.
Dieses Ausloten von Möglichkeiten passt durchaus auch zu HvG. Eine Eishöhle fände ich zum Experimentieren besonders reizvoll, da ein solcher Raum ja auch in besonderer Weise lebt. Oberflächenstruktur, Dicke und grundsätzliche Beschaffenheit des Eises werden den Nachhall ja ganz unterschiedlich gestalten.
Es gibt verschiedene Arten von Räumlichkeiten, die durch ihre besondere Akustik sehr spannende Klangergebnisse bieten können. Ich hatte vor einigen Jahren bereits eine Aufnahme im Programm, die in einem leerstehenden isländischen Fischtank entstand:
Mit herzlichen Grüßen zum erfreulichen und erholsamen Sonntag 🐻
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Die Leere des Tanks macht ihn für mich fast schon zu einer heilgen Halle… 😉 Auch das ein großartiges musikalisches Erlebnis!
Ich danke dir 🙂
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Ja, das ist auch eine nachvollziehbare Sichtweise. 😀 Wobei ich mir jetzt gar nicht sicher bin, ob es ein „Fischtank a.D.“ ist oder ob er nur temporär leer war.
Das musikalische Erlebnis ist jedenfalls toll und hat ja auch seinen Nährwert. 🙂
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Merkwürdiger- und wie ich finde, nicht zufälliger Weise werden mit menschlichem Gesang beschallte Höhlen, ob Fischtank, Eishöhle, Tomba, zu heiligen Hallen, zu Kirchenräumen. Es ist, als spiele sich der Schöpfungsakt per Stimme (am Anfang war das Wort) noch einmal in nuce ab
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Hab‘ ganz lieben Dank für diese bemerkenswerte Feststellung, mit der ich mich sehr anfreunden kann. 🌟 Das würde auch sehr gut damit harmonieren, dass jedes Geschöpf nicht nur Teil des großen Ganzen ist, sondern gleichzeitig auch des Ganzen teilhaftig ist. Ganz im Sinn einer Aussage der Hildegard von Bingen: „O Mensch, schau dir doch den Menschen richtig an: Hat der Mensch doch Himmel und Erde und die ganze übrige Kreatur schon in sich selber und ist doch eine ganze Gestalt, und in ihm ist alles schon verborgen vorhanden.“
Mit einem herzlichen Gruß zum freudvollen Sonntagabend 🐻
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Danke, Random, auch fürs so passende schöne Zitat. „in nuce“ ist alles da und vorhanden in uns Menschen. So mancher Keim treibt auch immer wieder hervor. Bleiben wir geduldig mit uns selbst.
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„Bleiben wir geduldig mit uns selbst“ ist auch ein zu dieser Musik passendes Thema, bei der die Sängerinnen ihren Klängen Raum und Zeit genug schenken, sich zu entfalten…
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An welch erstaunlichen Orten Musizieren möglich ist! Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass die Klänge ein Teil des Ganzen sind, zu dem wir alle gehören. Dein Foto: Wasser, Mein Foto: Holz runden die Wahrnehmung ab. Eine Eishöhle als Ort des Singens wäre auch sehr verlockend. Vielen Dank für diesen ganzheitlichen Beitrag!
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Lieben Dank für dein positives Echo. 🙂 Das Konzept „die Welt ist Klang“ hat durchaus einiges für sich. Kürzlich habe ich mir einen Satz des Physikers Frank Wilczek notiert: „There really is a „Music of the Spheres“ embodied in atoms and the modern Void, not unrelated to music in the ordinary sense.“
Die Eishöhle wäre ein wundervolles Experimentierfeld. Es würde mich nicht einmal wundern, wenn sich dort ein besonders „warmes“ Klangbild ergäbe.
Mit einem herzlichen Gruß zum harmonischen Sonntagabend 🐻
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Warme Klänge aus der Eishöhle ist ein sehr schönes Bild…
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Nachhall und Schatten , was für eine weitende Wirkung! Zum ersten Mal kommt mir auch, dass, was Echo im Klang ist, Schatten im Visuellen sein kann. Das erste Musikstück strahlt dadurch Weite und Ruhe aus, lässt mich aber auch etwas erschaudern. Das zweite empfinde ich als voll erhebend und erhaben. Damit die kleinsten Wesen zu verbinden ist spannend! Herzlichen Dank für diese originelle Präsentation und überraschende Verbindung zu Myriades Projekt. Dir einen erfreulichen Start in die Woche! Liebe Grüße, Petra
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Lieben Dank für deine klangerfreute und anregende Resonanz. 🙂
Dass du den Schatten im Visuellen hier ansprichst, finde ich besonders spannend. Denn Nachhall und Schatten „funktionieren“ ja auf verschiedene Weise. Und doch ist die Wirkung eben durchaus ähnlich, weil beides zur Lebendigkeit des visuellen oder akustischen Erlebnisses gehört.
Das erste Stück fand ich besonders spannend, weil es eben nur zwei Sängerinnen sind, die hier am Werk sind. Bei der zweiten Aufnahme werden mit fünf Mitwirkenden die akustischen Möglichkeiten des Raumes sehr schön ausgeschöpft.
Mit einem herzlichen Gruß zur erfüllenden Woche 🐻
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Der erste Eindruck ist sehr gut. Man denkt, es seien viel mehr Sänger. Leider bin ich gerade stark eingeschränkt beim Hören, da hier Trocknungsgeräte laufen. Glücklicherweise kann ich ja zurückkehren zu diesem feinen Hörgenuss, wenn die lauten Brummer hier verschwunden sind.
Liebe Sonntagsgrüße,
Syntaxia
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Lieben Dank für diese – trotz suboptimaler Ausgangslage – klangerfreute Resonanz. 🙂
Ja, es ist erstaunlich, dass es bei der ersten Aufnahme nur zwei Sängerinnen sind, deren Stimmen sich durch die akustischen Gegebenheiten des Gebäudes zu vervielfachen scheinen.
Mit einem herzlichen Sonntagabendgruß 🐻
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