Geh heim, Rat!

Betrachtet man das Substantiv Rat und das Verb raten aus deutschsprachiger Sicht (was nicht völlig abwegig ist, da es sich ja um Ausdrücke der deutschen Sprache handelt), fällt auf, dass beide durch eine gewisse Vieldeutigkeit glänzen. Nehmen wir zunächst das Substantiv. Rat kann nach heutigem Sprachgebrauch im Sinne einer Empfehlung oder, seltener, einer Lösung gemeint sein. Rat kann aber auch ein beratendes Gremium (bzw. eines seiner Mitglieder) bezeichnen. Und in einer ähnlichen Ecke sind zahlreiche Titel zuhause, etwa der Oberstudienrat.

Ein guter Rat kann äußerst wertvoll sein. Dennoch ist es oft ein ambivalentes Vergnügen, wenn jemand Ratschläge erteilt. Das hört sich doch irgendwie gewalttätig an. Und, richtig, es ist ganz erstaunlich, wie oft Ratschläge ungefragt und aufdringlich erteilt werden. Fast wie frisch gepflückt vom Watschenbaum. Da erstaunt es nicht, dass hinter der Aussage «Ich gebe dir einen guten Rat…» manchmal sogar eine Drohung steckt. Ironischerweise fast schon harmonisch in diese dissonante Gesellschaft stimmt der Verrat ein.

Jenseits der Substantivgrenze – auf der Verbseite – sieht es ähnlich aus. Zum Verrat gibt es natürlich das passende Verb verraten. Interessant ist aber auch die vielsagende Doppeldeutigkeit von raten. Denn das kann ja bedeuten, dass jemand einen Rat erteilt – oder auch auf gut Glück eine passende Antwort auf eine Frage zu finden versucht. Wird man von jemandem „beraten“, der nur geraten hat, ist es vorteilhaft, wenn man den Braten rechtzeitig riecht.

Ein besonderes Augenmerk verdient die Wendung, wonach guter Rat teuer sein soll. Krasser Selbstbetrug – und damit auch eine Art von Verrat – ist der völlig unbegründete Umkehrschluss, dass, wenn guter Rat teuer sei, teurer Rat auch gut sein müsse. Heerscharen von Beratern und Ratsgremien leben ganz gut davon, dass ihr „Rat“ teuer ist. Aber oft endet die Weise mit dem bekannten Refrain: außer Spesen nix gewesen.

Doch selbst wenn der Rat noch so gut sein sollte. Wenn er teuer ist, muss man also offensichtlich über genügend Mittel verfügen. Und damit ist ein kleiner Ausflug nach Norwegen angesagt. Wo das Erdöl reichlich fließt, dürften doch auch die Geldströme nicht weit sein. Da müsste man sich den guten Rat eigentlich leisten können. Dass man können müsste, heißt allerdings noch lange nicht, dass man es auch tut. Aber immerhin werden wir hier sprachlich fündig. Der Rat findet sich in Norwegen als «råd». Und zwar auch in unterschiedlicher Bedeutung. Hier ist sogar ein Minister ein «statsråd» – also ein Staatsrat. Und auch die Wendung vom teuren guten Rat finden wir hier: «Her er gode råd dyre.»

Es wird aber noch interessanter. Denn sich etwas leisten können (deswegen sind wir ja extra nach Norwegen geturnt) heißt hier: «ha råd til noe.» Das mag zunächst seltsam erscheinen. Zu sagen «ich habe Rat,» wenn man über die erforderlichen Mittel verfügt, mag dem deutschen Sprachempfinden fremd vorkommen. Aber die Verwendung von Rat im Zusammenhang mit materiellen Dingen treffen wir auch in der deutschen Sprache an. Und zwar in Verbindungen wie Hausrat, Zierrat, Unrat. Und in derselben Ecke ist sogar das Gerät beheimatet. Das erstaunt nicht (mehr), wenn wir einen Blick auf die Palette der Bedeutungen werfen, die das althochdeutsche Wort «rāt» hatte: Rat, Beratung, Überlegung, Versammlung, Beschluss, Entscheidung, Verabredung, Plan, Rettung, Ausweg, Ertrag, Reichtum…

Ein Klassiker unter den Räten gehört auch dazu – der Vorrat. Den finden wir auch im Norwegischen als forråd. Und damit verbunden ist ein besonders spannendes Wort – nämlich der ordforråd (also der Wortvorrat oder Wörtervorrat). Wer sich einen solchen Wortvorrat aufbaut, sorgt dafür, zur rechten Zeit das rechte Wort zur Verfügung zu haben. Das macht es möglich, sich gewandter und differenzierter auszudrücken. Als Ertrag winkt hier ein reicheres Ausdrucksvermögen.

Den ordforråd gibt es in der deutschen Sprache als Wortschatz. Und das ist nun freilich selber ein Wortjuwel – passend für jede Wortschatzkiste. Einfach zauberhaft. Das Wort drückt so vieles aus. Der Schatz ist ja etwas besonders Wertvolles. Insbesondere aber etwas, das einem sehr am Herzen liegt. Und das ist ja ganz typisch. Einen Wortschatz kann man sich nicht kaufen. Die Hilfsmittel dazu schon – aber damit muss man sich den Wortschatz erst einmal erarbeiten. Und auch dabei gibt es Grenzen. Wer Sprache (und was man damit anstellen kann) nicht liebt, wird des Wortschatzerarbeitens früher oder später überdrüssig. Und so kommt es nicht von ungefähr, dass sich der wirklich erlesene Wortschatz nur erlieben lässt.

Sowohl in der deutschen, als auch in der norwegischen Sprache wäre Vokabular eine Alternative zum Wortschatz bzw. zum ordforråd. Das ist sogar eine Vokabel, die in ähnlicher Form in verschiedenen Sprachen vorkommt: vocabulary, vocabulaire, vocabulario… Das Vokabular hat seinen ganz eigenen sprachlichen Hintergrund, der wieder neue wortschatzbezogene Facetten zutage bringt. Denn das Vokabular hat einen lateinischen Hintergrund, der über vocabulum (Benennung, Bezeichnung) und vocare (rufen, nennen) auf vox (Stimme) zurückgeht. Und darum geht es bei einem guten Rat in erster Linie: miteinander reden. Dazu gehört unbedingt auch ein Gespür dafür, wessen Stimme zu Wort kommen soll. Denn oft wollen Ratsuchende gar keine Ratschläge um die Ohren gehauen bekommen. Viel wichtiger ist meist, dass diese Menschen zugehört bekommen.

Allerdings taugt Vokabular in erster Linie als Ergänzung und nicht als Ersatz für andere wortschätzende Ausdrücke. Denn wer sich die ganz unterschiedlichen Qualitäten der Wörter Vokabular, Wortschatz und ordforråd auf der Zunge (lingua) zergehen lässt, bekommt eine neue und viel umfassendere Vorstellung von dem dadurch bezeichneten Phänomen. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass sich in anderen Sprachen noch weitere Facetten erkennen ließen. Wenn es um Wortschätze geht, sind wir also gut beraten, wenn wir auf Vielfalt statt auf einfältige Vereinfachungen setzen.

Der Wortschatz kann unsere Betrachtungen sogar noch in eine andere Richtung lenken. Denn ein Schatz ist, wie bereits angesprochen, etwas, das einem lieb und teuer ist. Und teuer drückt hier eine Form der Wertschätzung aus, die sich nicht mit Geld und Gold aufwiegen lässt. Und damit geht uns auch das Licht auf, dass guter Rat nicht im pekuniären Sinn teuer sein muss. Ein guter Rat ist selten, aber unter Umständen von unschätzbarem Wert. Ein Schatz, eben. Aus dieser Himmelsrichtung also weht der Wind, der uns davon flüstert, dass guter Rat teuer sei.

Und damit kommen wir zu dem, was der erlesene Wortschatz mit dem guten Rat zu tun hat. Wer einen guten Rat erteilen möchte, muss wissen, wovon sie/er spricht. Wie wir gesehen haben, steckt in den einzelnen Wörtern viel Wissen, das auf den ersten Blick oft verborgen bleibt. Also sind wir gut beraten, uns das in den Wörtern steckende Wissen anzueignen. Und selbst der beste Rat nützt rein gar nichts, wenn er nicht verstanden wird. Und so hilft uns der erlesene Wortschatz auch dabei, die richtigen – vor allem auch dem Empfänger angepassten – Worte zu finden. Denn hochtrabendes Schwadronieren ist dabei meist nur verbaler Unrat. Der wirklich gute Rat ist kein „Geheimrat“, dessen Sinn und Zweck kryptisch wirkt und daher geheim bleibt. Der beste Rat ist sozusagen ein „geh heim“ Rat. Einer, der am richtigen Ort ankommt. 🙂


Klangbild: Klinga mina klockor

https://youtu.be/8lDs61vrcZM

Benny Andersson • Musik
Björn Ulvaeus • Text

21 Gedanken zu “Geh heim, Rat!

    1. Random Randomsen sagt:

      Lieben Dank. 🙂
      Da habe ich noch ein kleines Extra im Wortvorrat: Im Norwegischen gibt es das Verb „sutre“, das nicht nur ähnlich klingt, sondern sogar von der Bedeutung nahezu deckungsgleich ist mit „sudern“.

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  1. PPawlo sagt:

    Ausführlich, kurzweilig, informativ und amüsant kommt dieser Text wieder her. Schon der Titel bewirkt leicht ratlose Aufmerksamkeit, das Bild gefällt wie ein Lichtblick im Dunkel und der Text deckt einiges auf, was so noch nicht bewusst war z.B. die Verbindung zu Hausrat und Vorrat…Ein durch und durch gut geratener Beitrag, wie man’s von Dir gewohnt ist. 🙂 Interessant finde ich auch die Verbindung von Rat zu mehreren, wie eben in der Ratsversammlung oder ganz anders im frz „conseil „/lat. consilium . Das gefällt mir inhaltlich, weil immer wieder ein einsamer Rat -Schlag, wie Du ja schreibst, unnütz ist. Gemeinsam in achtsamer Frage und Antwort zu einer Lösung zu kommen ist meist ratsamer. 😉 Und die Musik: wunderbar!

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    1. Random Randomsen sagt:

      Ganz herzlichen Dank für die feine Resonanz und fürs Mitteilen deiner Gedanken. 🙂
      Der Titel sollte ein etwas schräger Aufhänger sein, der erst am Ende sein Geheimnis lüftet. Das Bild konnte so nur entstehen, weil verschiedene Faktoren perfekt zusammen passten. Für mich drückt es verschiedene Aspekte des Themas aus. Und das meisterhafte Klangbild habe ich deshalb gewählt, weil seine beiden Urheber musikalisch und sprachlich aus einem überreichen Vorrat schöpfen. Ein Schatz, eben.
      Gemeinsam in achtsamer Frage und Antwort zu einer Lösung kommen. Das gefällt mir besonders. Das ist hier im Aufbau des Textes ein wenig angedeutet. Durch zwei Sprachen (zwei Stimmen mit eigenem Charakter) kommt man zu Ergebnissen, die in einem Alleingang kaum möglich wären.

      Gefällt 3 Personen

  2. Mitzi Irsaj sagt:

    Den „Rat“ in Zusammenhang mit materiellem zu bringen, wäre mir nicht als erstes eingefallen. Man muss seinen Wortschatz wirklich lieben um sich genüsslich mit einem Wort, seinen Bedeutungen und seinen Ursprüngen auseinander zu setzen. Meistens lohnt es sich. Und schön ist es, wenn man lesend auf eine solche Wortreise mitgenommen wird. Da denkt zwar ein anderer Kopf, aber wenn man dem nur oft genug folgt, dann stößt man selbst auch immer wieder auf interessante und manchmal auch seltsame ähnliche Wortteile die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben.
    Guter Rat…selten, oft nicht gut, gut gemeint, aber dadurch nicht besser und teuer im Sinne von geschätzt, noch viel seltener. Ich habe einen ganzen Vorrat an guten Räten, die ich noch nie gebraucht habe. Vieles davon ist wohl Unrat.

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    1. Random Randomsen sagt:

      Vielen Dank für dein Feedback. 🙂
      Der „erliebte“ Wortschatz ist schon Voraussetzung, um eine solche Wortreise anzuzetteln. Aber das Schöne ist – wie du schreibst – dass es keine statische Angelegenheit ist, sondern eine Anregung sein kann zu weiteren Entdeckungen. Erleben und erlieben liegen ja oft nahe beieinander. 🙂
      Bei einem gut gemeinten Rat kann man ja manchmal zumindest den guten Willen für die Tat nehmen und den Rat statt unter Unrat in die Rubrik „Zierrat h. c.“ einsortieren.

      Gefällt 2 Personen

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