KiA 6 • Tomine & Tyler

Heute möchte ich ein Thema aufgreifen, das beim Umgang mit Kindern eine besondere Herausforderung darstellt. Dies geht so weit, dass wir uns hier manchmal in der Grauzone einer besonderen Art des Kindesmissbrauchs bewegen. Es geht um hochbegabte Kinder. Und damit meine ich nicht bloß eine überdurchschnittliche Begabung, sondern die ganz seltenen Ausnahmetalente. Eine Begabung, die wie ein inneres Feuer ist, das eine so starke Thermik erzeugt, dass diese Menschen zu ungeahnten Höhenflügen fähig sein können. Aber wie das bei Höhenflügen so ist. Der Segen des Aufwinds birgt latent immer den Fluch des Absturzes in sich. Da geht es um die haarfeine Balance zwischen Förderung auf der einen und einer irgendwie „normalen“ Kindheit auf der anderen Seite. Drastisch formuliert geht es darum, nicht Verrat an der besonderen Begabung des Kindes zu begehen aber gleichzeitig das Kind auch nicht um seine Kindheit zu betrügen.

Die gezielte Förderung der besonderen Anlagen lässt sich oft pädagogisch geschulten Händen anvertrauen. Aber was ist mit dem Kindsein? Eine normale Kindheit ist ja keineswegs eine normierte Kindheit. Es ist durchaus nicht so, dass Mädchen unbedingt mit Puppen und Jungen zwingen Fußball zu spielen hätten, um die Kinderseele unbeschadet ins Erwachsenenalter zu retten. Manchmal ist es ganz einfach so, dass die Begabung nicht nur einer besonderen Förderung bedarf und damit leicht in Arbeit ausartet. Sie kann auch Gelegenheit zum unbeschwerten Kinderspiel sein.

Ein ganz heikler Punkt sind auch öffentliche Auftritte, wie sie bei musikalisch begabten Kindern gang und gäbe sind. Die Schattenseite ist in diesem Bereich das, was ich als Kinder verheizen bezeichne und damit als eine Form von Kindesmissbrauch ansehe. Da werden Kinder wie dressierte Äffchen vorgeführt – manchmal mit Sachen, die sie gar nicht können können. Da setzt man – um Eindruck zu schinden – Werke aufs Programm, die selbst für ein außergewöhnlich begabtes Kind einige Nummern zu groß sind. Und das Kind wurstelt sich mehr schlecht und recht durch. Musikalisch eine Katastrophe. Aber das Mädel oder der Bub ist ja noch soo klein und sooo süß – und so ist der Beifall des Publikums gewiss. Der Bumerang kommt dann, wenn es mit klein und süß sein vorbei ist.

Nun gehören aber Auftritte zu einem Musikerleben. Also ist es durchaus kein Schaden, wenn die Kinder sich beizeiten damit vertraut machen. Und viele Kinder zeigen durchaus gerne, was sie können. Und da möchte ich nun zwei junge Menschen vorstellen, bei denen das – so zumindest mein Eindruck – ganz gut klappt. Es sind dies die Sängerin Tomine Mikkeline Eide aus Norwegen und der Pianist Tyler Fengya aus den USA.

Tomine ist inzwischen bald 19 Jahre alt – und offensichtlich ganz gut unterwegs in ihrer musikalischen Laufbahn. Bei den hier ausgewählten Aufnahmen ist sie im Alter zwischen 12-17 Jahren zu hören.

Tyler ist einige Takte jünger und durchläuft derzeit eine klassische Ausbildung auf dem Klavier. Da tauchen die üblichen Verdächtigen im Repertoire auf. Hier möchte ich allerdings eine andere Seite von Tyler zeigen. Er spielt nämlich auch ganz gerne nach Gehör die Klaviermusik seiner jazzig-rockigen Lieblinge. 

 


Tyler Fengya • Solitudinous von Keith Emerson

 

Tomine Mikkeline Eide • Sæterjentens søndag von Ole Bull

 

Tyler Fengya • Agua e Vinho von Egberto Gismonti

 

Tomine Mikkeline Eide • Koppången von Per-Erik Moraeus

 

Tyler Fengya • Rio: Part IV von Keith Jarrett

 

Tomine Mikkeline Eide • Solveigs sang von Edvard Grieg

 

Tyler Fengya • Blues Reconstruction von Paul Bley

 

Tomine Mikkeline Eide • Hallelujah von Leonard Cohen

 

 


Alle bisherigen Beiträge zum Thema Kinder im Aufwind sind hier versammelt. Ein wenig LINKisch, das gebe ich zu – aber zumindest vollständig.

Petra Pawlofsky

https://pawlo.wordpress.com/2016/08/18/kinder-im-aufwindchildren-upwind/

https://pawlo.wordpress.com/2016/08/22/liebevolle-wegbegleiteraffectionate-company/

https://pawlo.wordpress.com/2016/08/25/von-zeitdruck-hektik-und-ruhe/

https://pawlo.wordpress.com/2016/08/30/kinderrechte-childrens-rights/

https://pawlo.wordpress.com/2016/09/02/die-widerstandskraft-staerken-1/

https://pawlo.wordpress.com/2016/09/07/die-widerstandskraft-staerkenstrengthening-resilience-2/

https://pawlo.wordpress.com/2016/09/10/generationenreigen-round-dance-of-generations/

https://pawlo.wordpress.com/2016/09/13/malen-singen-rhythmus-unbedingt/

https://pawlo.wordpress.com/2016/10/04/die-kraft-in-der-ruhe-strength-in-calm-1/

https://pawlo.wordpress.com/2016/10/08/die-kraft-in-der-ruhestrength-in-calm-2/

https://pawlo.wordpress.com/2016/11/05/geborgen-in-security/

https://pawlo.wordpress.com/2016/11/08/geborgenin-security-2/

Random Randomsen

https://randomrandomsen.wordpress.com/2016/08/19/kia-1-%e2%80%a2-die-kinderwelt-ist-klang/

https://randomrandomsen.wordpress.com/2016/08/23/kia-2-%e2%80%a2-pity-the-child/

https://randomrandomsen.wordpress.com/2016/08/28/%e2%98%85-kia-3-liebeserklaerung/

https://randomrandomsen.wordpress.com/2016/09/08/kia-4-%e2%80%a2-eternity-in-progress/

https://randomrandomsen.wordpress.com/2016/09/15/kia-5-%e2%80%a2-lebenslaeufe/

Sylvia Kling

https://wiedaslebenklingt.wordpress.com/2015/11/19/kinder-erfahren-und-eltern-sprechen/

https://sckling.wordpress.com/2016/08/22/schluesselerlebnis-kinder-im-aufwind-children-upwind/

https://sckling.wordpress.com/2016/10/15/unverbraucht-kinder-im-aufwind/

Annes Lesetagebuch

https://anneslesetagebuch.wordpress.com/2016/08/19/rainer-engelmann-kinder-ausgegrenzt-und-ausgebeutet-in-zusammenarbeit-mit-amnesty-international/

Leselebenszeichen

https://leselebenszeichen.wordpress.com/2016/02/24/henriettes-heim-fuer-schuechterne-und-aengstliche-katzen/

https://leselebenszeichen.wordpress.com/2016/11/05/titus-und-der-verwunschene-wald/

Mitzi Irsaj

https://mitziirsaj.wordpress.com/2016/08/26/kinder-im-aufwind-ein-projekt-von-petra-pawlofski-und-ein-kleiner-beitrag-von-mir/

Vro jongliert

http://vrojongliert.blogspot.de/2016/09/kinder-sind-keine-prufung-ein-pladoyer.html

Diana Klute

https://artscope.de/2016/06/28/you-are-my-home/

Gerda Kazakou

https://gerdakazakou.com/2016/10/16/wie-die-alten-sungen/

 

43 Gedanken zu “KiA 6 • Tomine & Tyler

  1. PPawlo sagt:

    Einfach kurz ein herzliches Dankeschön für diesen berührenden, sonntäglichen Beitrag! Es ist wunderbar, dass Du Dich so rege an diesem „aufwindigen“ Projekt beteiligst!
    ⭐ ⭐ ⭐ ⭐ ⭐ Ich melde mich noch einmal ausführlicher dazu!

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    1. Random Randomsen sagt:

      Vielen Dank für dein Echo. 🙂 Das Thema liegt mir seit geraumer Zeit am Herzen. Und es ist eben auch eine Facette der Kinder im Aufwind. Gleichzeitig war es eine schöne Gelegenheit, zwei außerordentliche Talente vorzustellen. 🙂

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      1. PPawlo sagt:

        Vom ersten Lied von Tomine habe ich eine Übersetzung im Netz gesucht, aber nur den Titel überstetzt gefunden „The herdgirl’s Sunday“. Bestaunt sie die Natur um sich?? Weißt Du, wo ich eine Überstezung finde? Oder ganz kurz, dass es Dir nicht zu viel Mühe macht: Um was geht’s denn (ganz kurz) in diesem Lied?
        Ich hoffe, der Kommentar ordnet sich jetzt richtig ein…

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        1. Random Randomsen sagt:

          Diese Geschichte lässt sich sehr gut in Kurzform erzählen. Es ist das Sehnsuchtslied einer Hirtin auf der Alm. Am Sonnenstand erkennt sie, das es bald Zeit für die Hochmesse ist. Und da wünscht sie, sie wäre im Tal gemeinsam mit den anderen auf dem Weg zur Kirche. Auch wenn ihre Worte in der zweiten Strophe vordergründig dem frommen Gesang gelten, wird zwischen den Zeilen klar, dass ihre Sehnsucht einem jungen Mann gilt, der sich unter den Kirchgängern befindet. Und so sehnt sie sich nach dem Herbst, der Zeit für die Heimkehr.

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  2. sternenkind11 sagt:

    Danke! Das hast Du sehr klar und wunderbar feinfühlig auf den Punkt gebracht! Und wieder die absolut passenden, verzaubernden Klangbilder liebevollst ausgewählt :-). Hab‘ einen winterverzauberten Sonntag ✳✳✳

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      1. sternenkind11 sagt:

        Danke :-). Dieses von Dir so klar angesprochene Thema bietet die Chance den Blick auf das „normale“ zu weiten. Ein Kind mit einer außergewöhnlichen Begabung findet diese unter Umständen „völlig normal“ und muss mühsam lernen, seinen Platz in der so anders tickenden Gesellschaft zu finden. Gerade im Erkennen des „anders Seins“ braucht es die Annahme, das achtsame, unterstützende „Sein und Wachsen lassen“, zugewandtes Zuhören, das voneinander Lernen – welches Freude am feinen Beobachten voraussetzt, den freudigen Wunsch den Wesenskern zu erfassen. Das könnten Erwachsene wohl Kindern und sich selbst schenken… Guats Nächtle 🙂

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        1. Random Randomsen sagt:

          Lieben Dank für diese ergänzenden Gedanken. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Für das außergewöhnlich begabte Kind kommt irgendwann die höchstwahrscheinlich überraschende Feststellung, dass die anderen NICHT so sind. Und auf dem Weg, seinen Platz in dieser „Anderwelt“ zu finden, kann es ein besonderes Hindernis sein, wenn die Erwachsenen nicht wissen, wie sie mit dieser besonderen Begabung umgehen sollen. Bei der musikalischen Hochbegabung ist es ja noch relativ „einfach“, weil es zumindest ein bekanntes und anerkanntes Phänomen ist. Da besteht auch ein Erfahrungsschatz. Aber es gibt ja auch andere Begabungen – und da steht das Kind zunächst wie eine Art Alien in der Umgebung. Da ist dann die von dir beschriebene Achtsamkeit und Annahme besonders gefragt.
          Dir eine lichtvolle Woche. 🙂

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          1. sternenkind11 sagt:

            Danke für Deine harmonische Resonanz. Außergewöhnlich begabten Kindern mit auf den Weg zu geben, dass sie anders aber deswegen nicht „verkehrt“ sind, bloß weil sie nicht in ein vorgegebenes Schema passen, ist so wertvoll. Es sind ihre Wurzeln, die gestärkt werden müssen, damit sie geerdet ihren Weg gehen können. Mit allen Höhen- und Sturzflügen ;-). Dir eine lichtvoll-einzigartige Woche 🙂

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            1. sternenkind11 sagt:

              Aaah, verstehe :-). So wie Du deinen Katzenbär hast, habe ich meine Eselhummel ;-). Schön, wenn sich scheinbare Gegensätze so friedvoll vereinen :-). Summbrummender Abendgruß zurück 🙂

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      2. PPawlo sagt:

        Diesen beiden Wunder- Kindern zuzuhören ist Freude pur! Vor allem Tomine Mikkeline Eides „Vortrag“ kann man ja genau mitverfolgen, weil sie sich dem Publikum zuwenden kann. Da ist erst einmal ihre verzaubernde, klare, reine Stimme und sie singt so selbstbewusst, so lauschend und inwendig und nach außen gewendet schauend, so als ob sie erstaunt dieses eigene Wunder wahr-nimmt… Sie ist ganz daheim in ihrer Kunst und -Gott sei Dank !- gibt ihr das die notwendige Stärke! Wahrscheinlich hat sie das Umfeld, das sich an ihren Talenten freut und sie genügend schützt und fördert. Bei Tyler Fengya überrascht dann die Lockerheit und Selbstverständlichkeit seines beflügelten 😉 Spiels!
        Herzlichen Dank für diese sehr gelungene Präsentation und die Möglichkeit, das zu erleben!

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        1. Random Randomsen sagt:

          Herzlichen Dank für deine bewundernde Resonanz. 🙂 Ein sehr verdientes Lob für die beiden aufwindigen Jungsterne am Musikhimmel. Bei Tomine sind verschiedene wichtige Fäden ineinander verwoben, die du hier präzise beschrieben hast. Stimme und Musikalität als Starthilfe. Beides sanft und doch beharrlich gefördert. Dazu stammt sie aus einer musikalischen Familie – Musik ist sozusagen ihre natürliche Umgebung. Dadurch überzeugt sie musikalisch, ohne dabei ihre Natürlichkeit zu verlieren. Auch Tyler ist hier besonders in seinem Element. Er hat sich ja bereits einiges an technischen Fertigkeiten angeeignet, aber bei diesen Stücken ist Kür statt Pflicht angesagt. Sozusagen das Kinderspiel eines Hochbegabten. 🙂

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  3. Sternchen sagt:

    Ich denke, dass solche Kinder immer Aussenseiter sind und ihre Kindheit nie „normal“ sein wird. Ihr Talent, ihre Zeit, die sie damit verbringen, das Umfeld, alles verändert sie, was zur Folge hat, dass sie mit anderen Kindern kaum zurecht kommen. Sie sollten mit Kindern mit ähnlichen Talenten gemeinam aufwachsen, da würde ich etwas wie Normalität sehen können….Übrigens gefielen mir der Beitrag sehr und die wunderbaren Musiktalente 😉

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    1. Random Randomsen sagt:

      Lieben Dank für dein Feedback. 🙂
      Mit „normal“ im engeren Sinn wird das nix – das sehe ich auch so. Es stellt sich halt einfach die Frage, inwieweit dieser Außenseiterstatus zur Belastung werden und das Geschenk der extraordinären Begabung zerstören kann. Kinder mit ähnlichen Begabungen gemeinsam aufwachsen zu lassen könnte – soweit es eben machbar ist – da schon helfen.

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      1. Sternchen sagt:

        es ist wohl auch die Frage, ob es sich um eine intrinsische oder extrinsische Motivation handelt und davon hängt letztendlich auch der Grad der Zufriedenheit ab, aber wahrscheinlich ist es noch komplexer…

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