Formel 1

Tabellenkalkulationen sind zunächst eine etwas dubiose Angelegenheit. Die sind halt einfach irgendwie in diesen gängigen Softwarepaketen mit dabei. Zwar möchte man ja nur hin und wieder ein paar Zeilen schreiben und käme mit einem einfachen Text-Editor wunderbar über die Runden. Aber dieses Office-Zeugs haben ja alle. Und alle wären nicht alle, wenn wir nicht auch dazu gehörten. Also haben auch wir dieses Office-Zeugs auf dem Rechner. Gelebte Solidarität. Edel sei der Mensch…

Die Profis unter uns wissen natürlich längst, dass sich mit einer Tabellenkalkulation auch durchaus brauchbare Dinge anstellen lassen. Besonders nützlich ist sie, wenn man kariertes Papier drucken möchte. Zur Not lassen sich damit auch Berechnungen vornehmen. Extrem komplexe Berechnungen sogar, wenn’s denn unbedingt sein muss. Meistens muss es aber nicht sein. Das ist ja doch recht mühsam mit dem ganzen blöden Formelkram. Und auf kariertem Papier kann man ja schließlich auch Berechnungen anstellen. Dieses ganze Formelzeugs gehört halt einfach irgendwie zur Software. Damit muss man sich ja wirklich nicht das Leben schwer machen.

Die vielleicht nützlichste Funktion einer Tabellenkalkulation wird allerdings oft übersehen. Und das liegt nicht daran, dass sie von den Programmierern nicht beabsichtigt war. Auch ein Großteil der von den Urhebern bewusst programmierten Funktionen wird gerne und geflissentlich übersehen.

Worauf ich hinaus will, ist, dass eine Tabellenkalkulation als Lehrer in Lebensphilosophie funktionieren kann. Voll wahr. Ich kidde* nicht. Ein kleines Beispiel als Anregung:

Sehr hilfreich und (zumindest unter regelmäßigen Formelanwendern) recht beliebt ist die WENN-Funktion. Erfüllt der Zelleninhalt eine vorgegebene Bedingung, geschieht dies, sonst geschieht jenes. Dies lässt sich zudem mit mehreren gleichen oder anderen Funktionen verknüpfen. Ist die Formel erst fertig gezimmert, nimmt sie es mit jedem Zellenwert auf. Präzise, blitzschnell, vollautomatisch. Schwupps! Zauberei!! (tja, zumindest, wenn man bei der Formel nicht ‚gezaubert‘ hat)

Eine gut formulierte Tabellenkalkulation kann gewisse Aufgaben im Leben leichter machen. Aber wenn ein Menschenleben vorwiegend nach der Manier einer verformelten Tabellenkalkulationszelle ‚funktioniert‘ – was dann? Dann ist die Sache plötzlich nicht mehr ganz so fett.

Ich meine beobachtet zu haben, dass in vielen Menschenleben (möglicherweise allzu) vieles nach einer wenn-dann Formel geregelt ist. Und was die Sache besonders bedenklich macht: oft scheinen diese Automatismen nicht bewusst gewählt zu sein. Vielmehr wurden sie nach einer Art Copy-Paste-Manier unbesehen übernommen.

Nach meiner Beobachtung gibt es dabei hauptsächlich zwei wenn-dann Kategorien.

Die erste Kategorie hat in der Regel mit dem zu tun, was wir Glück nennen. Auffallend viele Menschen stellen auffallend viele Bedingungen, die nach ihrer Auffassung zum glücklich sein gehören. Und auffallend viele haben mit Traum zu tun. Der Traumpartner. Der Traumjob. Das Traumhaus. Das Traumauto. Der Traumurlaub… Gegen Träume ist grundsätzlich nicht viel einzuwenden. Und schon gar nicht gegen den Versuch, diese auch Realität werden zu lassen. Aber zumindest zwei Dinge sollte man dabei nicht ganz außer Acht lassen. Erstens heißt es ‚glücklich sein‘ und nicht ‚glücklich haben‘. Und zweitens sehen viele Menschen in erster Linie auf das, was nicht mit den Träumen übereinstimmt. Und das wird dann automatisch als Mangel definiert. Das Geheimnis erfolgreicher Traumverwirklichung ist aber die Offenheit dafür, dass die Realität oft Aspekte beinhaltet, die man sich im Traum nicht vorstellen konnte. Wer nicht vollamtlicher Visionär ist, träumt meistens zu klein. Zudem träumen die meisten von etwas, das behaglich sein soll. Dagegen will die Realität uns in der Regel dazu animieren, eine Nummer grösser zu werden, was bei vielen Menschen ein gewisses Unbehagen auslöst.

Die zweite wenn-dann Kategorie hat mit automatischen Reaktionsmustern zu tun. Wenn mir einer dumm kommt, dann gibt’s eins auf die Glocke. Wenn mein Partner dies tut (oder jenes nicht tut), dann ist die Kacke am Dampfen. Mit dem Resultat, dass man nicht mehr lebt, sondern gleichsam gelebt wird. Ein vielsagendes Detail ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass die Formeln einer Tabellenkalkulation jeweils in einer Zelle enthalten sind. Dies erinnert fatal an ein Gefängnis. Und tatsächlich: Viele Menschen sind regelrecht Gefangene ihrer wenn-dann Verhaltensmuster.

Eines wissen wir sicher. In einer Tabellenkalkulation ist Platz für mehr als eine Formel.
Aber ist unser Leben auch mehr als eine Formel?

Das ist eine Frage, auf die es nur deine Antwort gibt.

Have an excel-lent day


*
Mein Beitrag zur Pflege und Erweiterung der neudeutschen Sprache. Nachdem die ‚Kids‘ in der deutschen Sprache längst heimisch sind, ist es nur recht und billig, wenn man ‚kidding‘ ebenfalls importiert. Familiennachzug.

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